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• Expertenhörung im Beustchen Bundestag als gekürtztes Video
• Stelleungnahemn der Experen
• Aussprache & Abstimmung im Plenum des Deutschen Bundestag als gekürtztes Video
• Reden im Plenum des Deutschen Bundestag der Politiker als Text
• Gerichtsurteile (2015, 2016 und 2019)

Expertenanhörung

Informationen zum Thema Website des Bundestags

Expertenurteile zum geplanten Verbot des Kükentötens in der 81. Sitzung des
Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft am 3. Mai 2021

Video

Es handelt sich um einen Zusammenschnitt von allen Aussagen, welche sich direkt mit dem Kükentöten in Verbindung mit Küken als Futtermittel beschäftigen.

Ungekürztes Video (2 h 03:31 min)

Zum Wortprotokoll

Stellungnahmen der Experten:

Verband der Zoologischen Gärten (Dr. Dominik Fischer)
Deutschen Tierschutzbundes e. V. (Inke Drossé)
Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft e. V. ()

Aussprache & Abstimmung im Plenum des Deutschen Bundestag

Video

Gekürzte Version der Aussprache & Abstimmung zum Verbot des Kükentötens in der 230. Sitzung des Deutschen Bundestages
am 20. Mai 2021

Es handelt sich um einen Zusammenschnitt von allen Aussagen, welche sich direkt mit dem Kükentöten in Verbindung mit Küken als Futtermittel beschäftigen.

Ungekürztes Video (35:18 min)

Protokoll

Gesetzesentwurf der Bundesregierung

Änderungsantrag der AfD

Schriftliche Reden und zu Protokoll gegebene Reden (Gekürzt)

Julia Klöckner, Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft:

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Julia Klöckner © Torsten Silz

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! Diese Bundesregierung geht voran beim Tierschutz. Millionen männliche Küken werden zurzeit noch direkt nach dem Schlüpfen getötet, aus wirtschaftlichen Gründen: weil sie keine Eier legen und nicht so gut Fleisch ansetzen. Das Töten direkt nach dem Schlüpfen ist eine unethische Praxis. Der setzen wir heute ein Ende. Wir in Deutschland sind weltweit die Ersten, die das Töten von Eintagsküken gesetzlich verbieten. Das ist ein Meilenstein für den Tierschutz; andere Länder wie zum Beispiel Frankreich werden sich an uns orientieren. Eines, liebe Kolleginnen und Kollegen, war mir im gesamten Prozess wichtig: Ich will die Produzenten hier in Deutschland halten, ich will den Tierschutz in Deutschland stärken und nicht die Tierwohlfragen exportieren.
(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir werden die Produzenten in Deutschland halten, indem wir ihnen wettbewerbsfähige Alternativen geben und nicht einfach die Probleme ins Ausland verlagern, um dann die Eier aus Ländern zu importieren, für die
Tierschutzfragen überhaupt keine Rolle spielen.
Um das Kükentöten aber jetzt rechtssicher verbieten zu können, darf unser Verbot nicht einem Berufsverbot gleichkommen. Wir müssen den Brütereien Alternativen
bieten. Für diese Alternativen haben wir gesorgt. Ich danke meinem Vorgänger Christian Schmidt, der die Wege dazu mitbereitet hat. Wir haben rund 6,5 Millionen Euro in Spitzenforschung investiert. Das war richtig, das war wichtig; das ist gut investiertes Geld.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Sehr geehrte Damen und Herren, den Brütereien stehen damit nun Alternativen zur Verfügung, etwa die Geschlechtererkennung im Ei. Die männlichen Küken werden erst gar nicht ausgebrütet, nur um dann am ersten
Tag getötet zu werden. Damit machen wir Schluss. Diese neue Technik kommt in der Praxis immer breiter zum Einsatz.
Wir haben die Forschung und Entwicklung weiterer Ansätze gefördert, wie zum Beispiel die Haltung sogenannter Zweinutzungshühner. Dafür hat mein Ministerium rund 2 Millionen Euro bereitgestellt. Eine weitere mögliche Alternative ist die Aufzucht männlicher Küken von Legelinien. Die Branche sieht sich jetzt einem breiten Spektrum von Alternativen gegenüber. Wir machen beides: nicht einfach nur Ansprüche an höheren Tierschutz formulieren, sondern den Betrieben die Möglichkeit geben, Tierwohl und Ökonomie unter einen Hut zu bringen. Damit werden und wollen wir Exportschlager sein, und andere
werden es uns nachmachen. Wir sind weltweiter Vorreiter.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Damit zeigen wir: Das geht. Wir lagern Tierschutzfragen nicht einfach ins Ausland aus, wir finden in Deutschland Lösungen. Diese Lösungen zeigen, welch große Bedeutung Forschung hat, welch große Bedeutung Innovation hat. Mit Innovation und Forschung schaffen wir Zukunft, schaffen wir es, hohe ethische Ansprüche hier in Deutschland auch zu realisieren und sie nicht nur zu stellen.
Mit diesem Gesetz – ich habe es schon gesagt – machen wir Schluss mit der Praxis des Kükentötens. Wir sorgen dafür, dass mit Ende dieses Jahres in Deutschland nur noch Eier ohne Kükentöten produziert werden. Und die Handelsketten ziehen nach. Wir Verbraucherinnen und Verbraucher entscheiden mit unserem Einkauf, welche Praxis wir unterstützen. Die Handelsketten ziehen nach und sagen jetzt auch nach und nach zu – auch heute wieder –, dass sie nur noch Eier aus Brütereien verkaufen, die keine Küken mehr töten. Das ist ein richtiges Zeichen.
Das ist ein Bekenntnis zum Standort Deutschland. Wir Verbraucherinnen und Verbraucher haben es in der Hand.
Die Eier werden teurer werden, einige Cent teurer. Aber ich bitte Sie: Das muss uns mehr Tierwohl und mehr Tierschutz hier in Deutschland wert sein.
(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich werde bei diesem Thema nicht aufhören. Wir gehen folgerichtig weiter. Unsere Initiative ist auf europäischer Ebene beispielgebend. Heute ist es bereits verpflichtend, die Eier zu kennzeichnen, aus welcher Haltung sie kommen; aber die unverarbeiteten Eier müssen heute noch nicht verpflichtend gekennzeichnet werden. Deshalb haben wir die Initiative gestartet, dass verarbeitetes Ei – in Pasta, in Backwaren und vielen anderen Produkten – auch gekennzeichnet werden muss.
Das ist Tierwohl, das über unsere Grenzen hinausgeht.
(Zuruf des Abg. Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Da sind wir Vorreiter. Deshalb sage ich: Heute ist ein guter Tag, wenn Sie dem Gesetzentwurf auch zustimmen. Wir tun etwas für den Tierschutz, wir reden nicht nur darüber. Wir machen ihn praktikabel und machbar.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich bin echt hin und weg!)


Stephan Protschka (AfD):

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Stephan Protschka
© DBT/Haar

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gott zum Gruße, liebe Gäste hier im Hohen Haus und zu Hause vor den Fernsehgeräten! Ich denke, wir sind uns fraktionsübergreifend alle einig, dass das grundlose – die Betonung liegt auf „grundlos“ – Töten von männlichen Hühnerküken verboten werden soll. Punkt! Eigentlich könnte man hier aufhören.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der Abg. Nicole Gohlke [DIE LINKE])
– Ja, ich weiß. Ganz ehrlich: Darauf habe ich gewartet. Ich wusste, das macht man so. Allerdings wurde das Gesetz leider wieder einmal nicht zu Ende gedacht; denn es gibt in Deutschland viele Zoos, Tierparks, Wildparks, Falknereien usw. usf., welche Tiere haben – zum Teil sogar Tiere, die vom Aussterben bedroht sind –, die die Küken als Futter benötigen.
(Leni Breymaier [SPD]: Oh! – Marianne Schieder [SPD]: Unsinn!)
Für diese müssen wir Lösungen oder Ausnahmen schaffen. Wir haben dazu einen Änderungsantrag eingebracht. Ich bitte Sie um Zustimmung zu diesem. Oder wollen Sie, liebe Regierung, wirklich schuld daran sein, dass Tiere
aussterben, in Deutschland nicht mehr vorhanden sein werden,

(Lachen bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

nur weil sie kein Futter mehr bekommen?

(Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Das ist echt eine Frechheit!)

Oder wollen Sie, liebe Regierung, wirklich, dass es in Deutschland keine Falknereien oder keine Habichtzüchter mehr gibt, weil sie keine Futtermittel für die Tiere mehr haben?

(Lachen der Abg. Simone Barrientos [DIE LINKE] – Amira Mohamed Ali [DIE LINKE]: Das tut ja weh!)
Oder wollen Sie, dass unsere Kinder manche Tiere in Zoos und Tierparks in Zukunft nicht mehr sehen können, weil die Zoos und Tierparks keine Futtermittel mehr haben? Ich denke nicht, dass Sie das wirklich wollen, Frau Ministerin, liebe Regierung.
(Simone Barrientos [DIE LINKE]: Da sind doch die Synapsen falsch geschaltet bei Ihnen! – Marianne Schieder [SPD]: Geht es noch schlimmer?)

Auch muss daran gedacht werden, dass es in anderen Ländern der EU und in Europa noch möglich ist, Küken grundlos zu töten. Also fordern wir in unserem Entschließungsantrag, dass sich die Regierung zum Schutz unserer Brütereien und auch unserer Landwirte, aber vor allem zum Schutz des Tierwohls und aus Gründen des Tierschutzes dafür einsetzt, dass es europaweit verboten wird und dass es nicht wieder zu einem nationalen Alleingang kommt, unter dem dann deutsche Landwirte, deut-
sche Brütereien, deutsche Zoos, deutsche Tierparks leiden, also wieder nur Deutsche unter dem Gesetz leiden.

(Beifall bei der AfD – Marianne Schieder [SPD]: Oijoijoi!)

Es ist nur sinnvoll, das Töten von Küken europaweit zu verbieten; denn sonst exportieren wir wieder nur Tierquälerei, und Tierschutz wird nicht wirklich umgesetzt; aber das machen Sie bei anderen Gesetzen auch so.

Ebenso sollten Lebensmittel gekennzeichnet werden, welche aus Ländern kommen, in denen das grundlose Kükentöten noch erlaubt ist, damit der Verbraucher – die Frau Ministerin hat es angesprochen – selbst entschei-
den kann, ob er Produkte kauft, die dem Tierschutz zugutekommen oder nicht.
Ich bitte Sie eindringlich, unsere Anträge ernst zu nehmen.
(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist zu viel verlangt!)

Ich erinnere Sie daran – ich erinnere mich selbst, als ob es gestern gewesen wäre –, dass ich hier am Rednerpult vor den Risiken und Nebenwirkungen des Narkosegases Isofluran, das bei der Ferkelkastration eingesetzt wird,
gewarnt habe. Ich habe Sie mehrmals gebeten, das Gas nicht zu verwenden und unseren entsprechenden Antrag ernst zu nehmen. Was ist passiert? – Ausgelacht wurde ich, als Verschwörungstheoretiker usw. wurde ich
beschimpft.
(Jessica Tatti [DIE LINKE]: Nein!)
Und ganz ehrlich? Die landwirtschaftliche Krankenkasse selber hat jetzt eine Meldestelle eingerichtet, weil dieses Gas im Sinne des Arbeits- und Gesundheitsschutzes sehr bedenklich ist. Wer hatte also recht? – Wieder mal die AfD.

(Beifall bei der AfD Stephan Brandner [AfD]: Wie immer! Das ist nichts Besonde- res! – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: So ein Quatsch!)

Also bitte: Springen Sie über Ihren Schatten und denken zumindest über unsere Anträge nach. Sonst stehen wir in ein paar Monaten wieder hier, und Sie müssen zugeben, dass die AfD wieder einmal recht hatte. Denn
wir wollen ein Deutschland. Aber normal.
Danke schön.
(Beifall bei der AfD – Dr. Kirsten Tackmann
[DIE LINKE]: Dann müssen Sie eine normale Rede halten!)

Zu Protokoll gegebene Reden (Gekürzt)

Silvia Breher (CDU/CSU):

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Silvia Breher
© Tobias Koch

Wir beenden das Töten der Eintagsküken in Deutschland. Das ist ein herausragender Erfolg für das Tierwohl. Das wir das überhaupt können, ist der Wissenschaft und der Geflügelbranche zu verdanken. […] Wir beenden die gängige Praxis, männliche Küken kurz nach dem Schlüpfen zu töten, weil ihre Aufzucht wirtschaftlich unrentabel ist. Gegenwärtig finden die pro Jahr etwa 45 Millionen in Deutschland anfallenden männlichen Eintagsküken noch als Tierfutter eine zweckmäßige Verwendung. Sie werden nicht vernichtet. Sie dienen damit anderen Tieren als Futter – in zoologischen Gärten, Tierparks, Wildtierauffang- und -pflegestationen, Tierheimen und in Privathaltungen. Deshalb haben wir in den parlamentarischen Beratungen die Frage von Ausnahmegenehmigungen für das Töten von Eintagsküken intensiv diskutiert. Aber zu befürchten ist, dass eine grundsätzliche Verwendung von Futterküken den Ausstieg unterlaufen würde. Denn schon heute werden alle in Deutschland anfallenden männlichen Eintagsküken verfüttert.
Wir haben verschiedene Möglichkeiten diskutiert und geprüft. Aber Einschränkungen nur für deutsche Abnehmer, die Eintagsküken nicht durch andere Futtertiere substituieren können, sind mit dem europäischen Binnenmarkt nicht vereinbar. Und auch in der öffentlichen Anhörung zu dem Gesetz am 3. Mai 2021 haben die eingeladenen Sachverständigen unterschiedliche Meinungen zum Thema Futterküken vertreten. Aber sicher ist, dass der Bedarf an Küken zur Verfütterung auch aus anderen Quellen gedeckt werden kann. Küken als Futtertiere sind nicht alternativlos. […] Lassen Sie uns gemeinsam den Weg gehen und das Kükentöten beenden – jetzt! Sowohl der Gesetzentwurf der Bundesregierung als auch der Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD sind schlüssig. Deshalb bitte ich um Ihre Zustimmung.

Artur Auernhammer (CDU/CSU):

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Artur Auernhammer
© Tobias Koch

Mit dem vorliegenden Gesetz können wir heute einen Meilenstein in Deutschland erreichen. Wir können heute eine Praxis beenden, die ethisch nicht mehr vertretbar ist. […] [K]urz gesagt: Männliche Küken sind unwirtschaftlich. Diese Praxis wird seit Jahren zu Recht auch zunehmend ethisch, gesellschaftlich und politisch hinterfragt. Der Einzelhandel hat an der Stelle schon reagiert und diverse Siegel für männliche Küken hervorgebracht, wie die „Bruderküken-Initiative“, „haehnlein“ oder „Huhn & Hahn“. Mit dem nun vorliegenden Gesetz von Julia Klöckner hat die Bundesregierung nachgelegt und die richtige Antwort auf die Fragen gefunden. Und damit zeigt die Bundesregierung auch eines: Wir in Deutschland sind Vorreiter beim Thema Tierethik. Denn kein anderes Land geht so strikt gegen das Schreddern von männlichen Küken vor wie wir. [Wir wollen,] dass nach dem 31. Dezember 2021 keine männlichen Eintagsküken, die aus Legelinien stammen, mehr getötet werden. Damit wir das aber schaffen, ist eines klar: Wir müssen mehr Forschen – mehr Forschen bei Zucht und Bebrütung. [..] Deswegen bitte ich Sie, dem vorliegenden Gesetzent wurf der Bundesregierung und dem Änderungsantrag von CDU/CSU und SPD zuzustimmen. Sowohl Gesetz als auch Änderungsantrag sind wichtig und richtig. Denn damit wird eine überholte Praxis beendet, und männliche Küken müssen nicht unnötig leiden.

Susanne Mittag (SPD):

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Susanne Mittag
© DBT/ Inga Haar

Das Kükentöten wird endlich beendet. Es war ein langer Weg mit jahrelangem öffentlichem Aufschrei, endlosen Argumenten, warum das nicht geht, unsere im Koalitionsvertrag festgeschriebene Forderung. Immer wieder – so auch heute – wurden Untergangsszenarien von einer Verlagerung der Produktion ins Ausland bemüht. Verhandlungen über freiwillige Vereinbarungen blieben erfolglos. Entscheidend war ein rechtskräftiges OVG-Urteil, das dem Landwirtschaftsministerium bescheinigte, was schon längst hätte umgesetzt werden müssen: ein Verbot des Kükentötens! Jetzt liegt es vor, ohne Ausnahmen, ohne Hintertür, und darauf werden wir auch weiter achten. Seit Neuestem hat es sogar die Zustimmung der Geflügelbranche. Aber ich frage mich: Warum muss das Staatsziel Tierschutz erst von einem Gericht festgestellt werden? So war es auch beim Kastenstand. Warum wurden bestehende Gesetze zum Tierschutz jahrelang ignoriert? Ich erinnere an die ausgiebigen Verhandlungen bei der Ferkelkas tration. Müssen die noch offenen tierschutzrechtlichen Verbesserungen auch erst alle gerichtlich festgestellt werden, bevor sie umgesetzt werden, sei es beim illegalen Welpenhandel, sei es bei der Wildtier- und Exotenhaltung? Das Ministerium hat selbst ein Gutachten in Auftrag gegeben, wo sich überall etwas verbessern muss: Prüf und Zulassungsverfahren für Tierhaltungssysteme, Qualzuchten, Wildtierhaltung in Zirkussen oder auch, ganz aktuell, beim Tierwohllabel. Wie sieht die zukünftige Nutztierhaltung mit Transport und Schlachtung aus? Was ist eigentlich rechtlich abgesichert? Ich wäre sehr froh gewesen, wenn ich in dieser oder einer der beiden letzten Plenarwochen zu diesen Themen hätte sagen können: tolle Gesetze. Dabei ist Tierschutz nicht nur festgeschriebenes Staatsziel, sondern Ihr Auftrag, Frau Ministerin, liebes Landwirtschaftsministerium. Aber nein, es wird geprüft, verhandelt, erwogen, es werden Gespräche geführt, es wird vertröstet, ein bisschen an Verordnungen herumgebastelt. Ich bin ja gnadenlos optimistisch; aber ich ahne, wir brauchen, um voranzukommen, noch weitere höchstrichterliche Urteile. Das kann doch nicht Grundlage ministeriellen Handelns sein! Schade. In den vergangenen 3,5 Jahren hätte wirklich Entscheidendes für den Tierschutz passieren können. Trotzdem: Das Gesetz ist gut. Wir stimmen zu.

Gerichtsurteile

Verwaltungsgericht in Minden (NRW) am 06. Februar 2015

Mit Urteilen vom 30. Januar 2015 hat die 2. Kammer des Verwaltungsgerichts Minden unter Vorsitz des Präsidenten Klaus Peter Frenzen entschieden, dass die Untersagung der in der Geflügelzucht vorzufindenden Praxis, wonach männliche Küken aus Legelinien getötet werden, einer spezialgesetzlichen Ermächtigungs­grundlage bedarf, die es bisher im geltenden Tierschutzgesetz nicht gibt. Klagen der Betreiber von Brütereien wurde damit stattgegeben.

Gemäß einer national wie europaweit geübten Praxis werden derzeit männliche Küken aus sogenannten Legelinien – auf die Eierproduktion spezialisierte Rassen – getötet, weil sie zur Ei­erproduktion nicht geeignet sind und gegenüber zu Mastzwecken gezüchteten Tieren eine verminderte Fleischansatzleistung aufweisen. Bundesweit betrifft dies jähr­lich ca. 50 Millionen männliche Küken. Auf Nordrhein-Westfalen entfällt ein Anteil von ca. 5,4 %.

Mit Erlass vom 26. September 2013 forderte das Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucher­schutz des Landes Nordrhein-Westfalen die zuständigen Ordnungsbehörden auf, die Tötung männlicher Küken aus Legelinien im Wege einer Ordnungsverfügung zu un­tersagen. Dem kamen die nordrhein-westfälischen Aufsichtsbehörden im Dezember 2013 nach und untersagten den in NRW ansässigen Brütereien – insgesamt 12 Be­trieben -, ab dem 1. Januar 2015 die Tötung männlicher, nicht zur Schlachtung ge­eigneter Küken. Hiergegen hatten 11 Brütereien geklagt.

Die 2. Kammer des Verwaltungsgerichts Minden hat nun die Untersagungsverfügungen der betroffenen Kreise mit der Begründung aufgehoben, dass es angesichts des erheb­lichen Eingriffs in die Berufsfreiheit der Betreiber von Brütereien einer spezialge­setzlichen Ermächtigungsgrundlage bedürfe. Die tierschutzrechtliche Generalklausel in § 16a Abs. 1  Satz 1 TierSchG i. V. m. § 1 Satz 2 TierSchG reiche zur Recht­fertigung des mit dem Verbot einhergehenden Eingriffs in die Freiheit der Berufswahl nicht aus. Allgemeine verfassungsrechtliche Grundsätze verpflichteten den parla­mentarischen Gesetzgeber, wesentliche Entscheidungen selbst zu treffen und sie nicht der Verwaltung zu überlassen. Von der unter wortgleicher Geltung des Tier­schutzgesetzes seit Jahrzehnten sowohl im In- als auch im Ausland üblichen und nicht nur geduldeten, sondern sogar als gerechtfertigt angesehenen Tötungspraxis könne nicht allein unter Hinweis auf eine geänderte gesellschaftliche Bewertung des Tierschutzes abgewichen werden. Dem stünden die schutzwürdigen Interessen der Brütereibetreiber aus Art. 12 Abs. 1 GG entgegen, die derzeit keine marktdeckenden und praxistauglichen Alternativen zur Tötung der männlichen Küken hätten. Die von den beklagten Kreisen angeführten alternativen Möglichkeiten (Geschlechtsbe­stimmung im Ei, Züchtung eines „Zweinutzungshuhns“, Vermarktung der männlichen Tiere im Rahmen der sog. Bruderhahn-Initiative-Deutschland oder als Stubenküken) stellten für die Brütereibetreiber derzeit keine in der Massentierhaltung praxistaug­liche oder die allgemeine Konsumentennachfrage deckende Verfahren dar, so dass die Betriebe bei einem Tötungsverbot vor dem Aus stünden. Ob demgegenüber eine gewandelte gesellschaftliche Bewertung des Tierschutzes aus Art. 20a GG generell überwiege, bedürfe einer Entscheidung des parlamentarischen Gesetzgebers, bei der er selbst Anlass, Zweck und Grenzen eines tierschutzrechtlichen Tötungsver­bots regeln müsse. An einer solchen Entscheidung fehle es bislang.

Daneben hätten die beklagten Kreise bei ihrer Entscheidung nicht berücksichtigt, dass eine Untersagung allein bezogen auf NRW dem angestrebten Tierschutz nur begrenzt diene und die mit der Tötungspraxis verbundene Tierschutz­problematik lediglich in andere Länder (im Bund oder der gesamten Europäischen Union) verlagere. Ferner sei die den Brütereien eingeräumte Übergangsfrist von einem Jahr unangemessen kurz. Innerhalb nur eines Jahres sei eine breite Nachfrage von Konsu­menten, die bereit wären, für Masthähne einen entsprechend ihrer längeren Mastzeit höheren Preis zu zahlen, nicht zu schaffen.

Wegen grundsätzlicher Bedeutung hat die 2. Kammer die Berufung zugelassen, die beim Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster eingelegt werden kann.

(VG Minden, Urteile vom 30.01.2015 – 2 K 80/14 und 2 K 83/14 -; nicht rechtskräftig. Die Urteile können in Kürze im Volltext unter www.nrwe.de abgerufen werden.)

§ 16a Abs. 1 Satz 1 TierSchG lautet:

„Die zuständige Behörde trifft die zur Beseitigung festgestellter Verstöße und die zur Verhütung künftiger Verstöße notwendigen Anordnungen.“

In § 1 Satz 2 TierSchG heißt es:

„Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schä­den zufügen.“

Quelle: Pressemitteilung

Oberverwaltungsgericht in Münster (Nordrhein-Westfalen) am 20. Mai 2016

Der 20. Senat des Oberverwaltungsgerichts hat heute in zwei Verfahren entschie­den, dass das Töten männlicher Eintagsküken aus Legehennenrassen in Brütereien nicht gegen das Tierschutzgesetz verstößt.

Hühner werden in der Geflügelwirtschaft zur Eier- und Fleischerzeugung genutzt. Durch das Ausbrüten von Hühnereiern entstehen je zur Hälfte weibliche und männ­liche Küken. Da zur Fleischerzeugung ganz überwiegend Tiere aus spezialisierten Fleischrassen eingesetzt werden, werden die männlichen Küken der Legehennenrassen, weil sie zu wenig Fleisch ansetzen, kurz nach dem Schlüpfen getötet.

In Deutschland betraf das im Jahr 2012 etwa 45 Millionen männliche Küken. Die Kreise in Nordrhein-Westfalen hatten diese seit Jahrzehnten allgemein übliche Praxis auf Weisung des zuständigen nordrhein-westfälischen Ministeriums untersagt. Der Kreis Gütersloh und der Kreis Paderborn (Beklagte) hatten jeweils gegenüber einem Betreiber von Brütereien in ihrem Kreisgebiet (Kläger) entsprechende Untersagungs­verfügungen erlassen. Das Verwaltungsgericht Minden gab den Klagen der Betreiber statt (vgl. Pressemitteilung des VG Minden vom 06.02.2015).

Die gegen diese Urteile eingelegten Berufungen der beiden Kreise hat das OVG heute zurückgewiesen.

Zur Begründung hat es ausgeführt: Das Tierschutzgesetz erlaube das Töten von Tieren, wenn dafür ein vernünftiger Grund im Sinne des Gesetzes vorliege. Für die von den Kreisen untersagte Tötung männlicher Küken bestehe ein solcher Grund. Zur Feststellung eines vernünftigen Grundes sei eine Abwägung der betroffenen Belange vorzunehmen. Dabei seien ethische Gesichtspunkte des Tierschutzes und menschliche Nutzungsinteressen zu berücksichtigen, ohne dass einem der Belange ein strikter Vorrang zukomme. Die Aufzucht der männlichen Küken der Legelinien stehe im Widerspruch zum erreichten Stand der Hühnerzucht und den wirtschaft­lichen Rahmenbedingungen. Technische Verfahren, um nur noch Eier mit weiblicher DNA auszubrüten, seien noch nicht praxistauglich. Die Aufzucht der ausgebrüteten männlichen Küken aus einer Legehennenrasse sei für die Brütereien mit einem un­verhältnismäßigen Aufwand verbunden. Würden diese Küken aufgezogen, seien sie von den Brütereien praktisch nicht zu vermarkten. Ausgewachsene Hähne der Legehennenrassen seien allenfalls ein Produkt für eine kleine Absatznische. Die Tötung der Küken sei daher Teil der Verfahren zur Versorgung der Bevölkerung mit Eiern und Fleisch. Die wirtschaftliche Gestaltung dieser Verfahren sei für die Brütereien als Erzeuger der Küken unvermeidbar. Hiervon seien auch die für den Tierschutz verantwortlichen staatlichen Stellen über Jahrzehnte hinweg unter Gel­tung des Tierschutzgesetzes einvernehmlich mit den Brütereien ausgegangen.

Das OVG hat die Revision nicht zugelassen. Hiergegen kann Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht eingelegt werden.

20 A 488/15 (VG Minden 2 K 80/14) Kreis Paderborn

20 A 530/15 (VG Minden 2 K 83/14) Kreis Gütersloh

Quelle: Pressemitteilung

Bundesverwaltungsgericht in Leipzig (Sachsen) am 13.06.2019

Das wirtschaftliche Interesse an speziell auf eine hohe Legeleistung gezüchteten Hennen ist für sich genommen kein vernünftiger Grund i.S.v. § 1 Satz 2 des Tierschutzgesetzes (TierschG) für das Töten der männlichen Küken aus diesen Zuchtlinien. Da voraussichtlich in Kürze Verfahren zur Geschlechtsbestimmung im Ei zur Verfügung stehen werden, beruht eine Fortsetzung der bisherigen Praxis bis dahin aber noch auf einem vernünftigen Grund. Das hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig heute entschieden.

Der Kläger betreibt eine Brüterei. Die dort ausgebrüteten Eier stammen aus Zuchtlinien, die auf eine hohe Legeleistung ausgerichtet sind. Für die Mast sind Tiere aus diesen Zuchtlinien wenig geeignet. Deshalb werden die männlichen Küken kurz nach dem Schlüpfen getötet. Das betraf in Deutschland im Jahr 2012 etwa 45 Millionen Küken. Der Beklagte untersagte dem Kläger mit Verfügung vom 18. Dezember 2013 ab dem 1. Januar 2015 die Tötung von männlichen Küken. Er folgte damit einem an alle Kreisordnungsbehörden des Landes gerichteten Erlass, der auf das zuständige Landesministerium zurückging.

Das Verwaltungsgericht Minden hat die Untersagungsverfügung aufgehoben, das Oberverwaltungsgericht Münster die Berufung des Beklagten zurückgewiesen: Die Tötung der männlichen Küken erfolge nicht ohne vernünftigen Grund i.S.v. § 1 Satz 2 TierSchG.

Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Entscheidung nur im Ergebnis bestätigt. Gemäß § 1 Satz 2 TierSchG darf niemand einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen. Das Tierschutzgesetz schützt – anders als die Rechtsordnungen der meisten anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union – nicht nur das Wohlbefinden des Tieres, sondern auch sein Leben schlechthin. Vernünftig im Sinne dieser Regelung ist ein Grund, wenn das Verhalten gegenüber dem Tier einem schutzwürdigen Interesse dient, das unter den konkreten Umständen schwerer wiegt als das Interesse am Schutz des Tieres. Im Lichte des im Jahr 2002 in das Grundgesetz aufgenommenen Staatsziels Tierschutz beruht das Töten der männlichen Küken für sich betrachtet nach heutigen Wertvorstellungen nicht mehr auf einem vernünftigen Grund. Die Belange des Tierschutzes wiegen schwerer als das wirtschaftliche Interesse der Brutbetriebe, aus Zuchtlinien mit hoher Legeleistung nur weibliche Küken zu erhalten. Anders als Schlachttiere werden die männlichen Küken zum frühestmöglichen Zeitpunkt getötet. Ihre „Nutzlosigkeit“ steht von vornherein fest. Zweck der Erzeugung sowohl der weiblichen als auch der männlichen Küken aus Zuchtlinien mit hoher Legeleistung ist allein die Aufzucht von Legehennen. Dem Leben eines männlichen Kükens wird damit jeder Eigenwert abgesprochen. Das ist nicht vereinbar mit dem Grundgedanken des Tierschutzgesetzes, für einen Ausgleich zwischen dem Tierschutz und menschlichen Nutzungsinteressen zu sorgen.

Die bisherige Praxis wurde allerdings – ausgehend von einer damaligen Vorstellungen entsprechenden geringeren Gewichtung des Tierschutzes – jahrzehntelang hingenommen. Vor diesem Hintergrund kann von den Brutbetrieben eine sofortige Umstellung ihrer Betriebsweise nicht verlangt werden. Bereits im Zeitpunkt der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts war absehbar, dass in näherer Zukunft eine Geschlechtsbestimmung im Ei möglich sein würde. Die weitere Entwicklung hat diese Einschätzung bestätigt. Ohne eine Übergangszeit wären die Brutbetriebe gezwungen, zunächst mit hohem Aufwand eine Aufzucht der männlichen Küken zu ermöglichen, um dann voraussichtlich wenig später ein Verfahren zur Geschlechtsbestimmung im Ei einzurichten oder ihren Betrieb auf das Ausbrüten von Eiern aus verbesserten Zweinutzungslinien umzustellen. Die Vermeidung einer solchen doppelten Umstellung ist in Anbetracht der besonderen Umstände ein vernünftiger Grund für die vorübergehende Fortsetzung der bisherigen Praxis.

BVerwG 3 C 28.16 – Urteil vom 13. Juni 2019

Vorinstanzen:

OVG Münster, 20 A 530/15 – Urteil vom 20. Mai 2016 –

VG Minden, 2 K 80/14 – Urteil vom 30. Januar 2015 –

BVerwG 3 C 29.16 – Urteil vom 13. Juni 2019

Vorinstanzen:

OVG Münster, 20 A 488/15 – Urteil vom 20. Mai 2016 –

VG Minden, 2 K 83/14 – Urteil vom 30. Januar 2015 –

Quelle: Pressemitteilung